1. Geschichte der Kriminalistik
- die Kriminalistik als eigenständige
Wissenschaft
hat sich erst relativ spät entwickelt und ist somit in ihren
Anfängen die Geschichte der Strafverfolgung
- Kriminalistik ist immer abhängig von
der
Entwicklung des Verbrechens (allg. Verbrechensbegriff!) und vom
sozialen Gefüge einer Gesellschaftsordnung
- die Bekämpfung des Verbrechens war in
den
frühen Gesellschaftsordnungen immer im Interesse der jeweils
Herrschenden, diese bestimmten willkürlich, was Recht ist und
wie
Rechtsbrüche geahndet werden
- Recht war in früheren Gesellschaften
immer mit
Religion verflochten, Verhaltensnormen oder Rechtsverordnungen waren
„von Gott gegeben“ (z.B. 10 Gebote), Macht wurde
„von
Gottes Gnaden“ ausgeübt; es gab keine Gleichheit vor
dem
Gesetz
- das Recht im Mittelalter war noch
überwiegend
von Willkür, Gewalt, Folter, sog.
„Gottesurteilen“ und
dem Prinzip des „Eigenbekenntnis“
(Geständnis)
geprägt, Kriege und Notzeiten brachte neue Verbrechensformen
hervor
- die Aufklärung und Ahndung von
Verbrechen wurde
in höher entwickelten Gesellschaftsordnungen ab dem
Spätmittelalter zu einem gesamtgesellschaftlichen
Interesse
(Kriege, Kreuzzüge, Raubritter)
- die zunehmende Spezialisierung der Lebensweise
und
die Herausbildung von Ständen und Klassen machten die
Schaffung
von allgemeinverbindliche Rechtsnormen (Gesetze) und erste
Strafverfolgungsinstanzen (Gerichte) erforderlich, die jedoch
vorwiegend dem Machterhalt der jeweils Herrschenden dienten (z.B.
Standesgesetze, Majestätsbeleidigung, usw.), es erfolgte eine
Hinwendung zum Beweis (Zeugenbeweis, Tatsachenbeweis,
Spurenuntersuchung, Augenscheinnahme)
- mit dem Zeitalter der Aufklärung und
der
Anerkennung allgemeingültiger Menschenrechte ab dem 18.
Jahrhundert, mit der Weiterentwicklung der Gesellschaft und der Bildung
von Staaten sowie mit der Entstehung neuer Formen des
Verbrechens
erfolgte eine Spezialisierung der gesetzlichen Normen (Strafgesetze,
Strafprozessgesetze), eine Verselbständigung der
Strafverfolgungsinstanzen bis zur Kriminalpolizei und eine Entwicklung
der Strafuntersuchungswissenschaften zur Kriminalistik
- in den modernen Demokratien gibt es klar
definierte
Strafgesetze und Verfahrensvorschriften sowie demokratisch legitimierte
Ausführungsorgane (Gewaltenteilung: Legislative, Exekutive,
Judikative) sowie kriminalistische Forschung und Lehre
2. kurzer historischer Überblick
über die Anfänge kriminalistischen Denkens
- in der Urgesellschaft galt das „Recht
des
Stärkeren“, ähnlich wie im Tierreich;
Konflikte um
Besitz (Nahrung, Kleidung, Werkzeug) oder um die Rangordnung wurden
gewaltsam ausgetragen
- frühe Häuptlings- und
Königreiche
schufen erste zentrale gerichtliche Instanzen, die autoritär
entschieden, mystische und magische Aufhellung von Missetaten (Orakel
und Rituale, Schamanen, Medizinmänner), aber auch durch
Verhandlung/Schlichtung („Palaver“)
- in den frühen, stark
religiösen
Gesellschaftsordnungen erfolgte die Verklärung des Verbrechens
als
Erbsünde, also eine dem Menschen angeborene Verderbnis und
Lust
zum Bösen, die immer auch als Verstoß gegen Gebote
der
Gottheit geahndet wurde (erste Verhaltensregeln „Die 10
Gebote“, die nach und nach immer weiter im Sinne
religiöser
Gebote oder Verbote zu rechtlichen Verhaltensnormen erweitert
wurden), Recht, Moral und Religion bildeten eine Einheit, das
Verbrechen war Sünde und der Priester der Richter (daher
Beichte
und Absolution); die Macht war „gottgegeben“ und
Auflehnung
dagegen war Sünde („versündige Dich
nicht!“)
- im Altertum Herausbildung unterschiedlicher
Rechtsauffassungen im sumerischen, babylonischen, assyrischen,
ptolemäischen, hebräischen, römischen und
byzantinischen
Recht, deren Grundsätze z.T. sehr fortschrittlich waren und
bis
ins heutige moderne Strafrecht wirken z.B.
- „Nullum crimen, nulla poena
sine lege
scripta“ kein Verbrechen, keine Strafe ohne
geschriebenes
Gesetz - W’sp. in den §§ 1, 2 StGB
- „in dubio pro
reo“ im Zweifel zugunsten des Angeklagten
- „ne bis in idem“ keine
doppelte Strafverfolgung
- im römischen Recht das
„Forum“ als Gerichtsstätte
- auch Zeugenbeweis und Eid waren hier schon
bekannt
- detaillierte Personenbeschreibungen entlaufener
Sklaven
- Nutzung von Fingerabdrücken auf
Urkunden zu Identifizierungszwecken in China
- im alten Ägypten funktionierender
Rechtsstaat mit Gesetzen, Beamten, usw.
- im Mittelalter Hinwendung zum
Eigenbekenntnis
(Geständnis); Territion (Abschreckung) und Tortur (Folter) als
Mittel zur Geständniserlangung; Ordalien
(Gottesurteile) wie z.B. gerichtlicher Zweikampf, Probe im
siedenden oder kalten Wasser, Kreuzprobe, Feuer- oder Eisenprobe,
Bahrprobe; Glaube an göttliche Autorität, die keines
irdischen Beweises bedurfte;
- Der Zeugenbeweis galt nicht, bestimmte Personen
(z.B. Frauen) waren vom Zeugnis sogar ausgeschlossen
- aber auch Anfänge
vernunftmäßiger Wahrheitsfindung und
formalgesetzliche Beweisregeln,
- z.B. in Deutschland: Sachsenspiegel“
um 1226 mit allgemein anerkannten Rechtsnormen,
- z.B. Constitutio Criminalis Carolina, die
peinliche
Halsgerichtsordnung KARLS d. V. von 1532, die neben der Folter auch den
Zeugenbeweis, die Gegenüberstellung und den Eid
zuließ;
- Konfliktlösungen bei einfachen
Verletzungs- und
Eigentumsdelikten oder „Ehrbeschädigungen“
waren
Privatsache (Fehde, Sühnevertrag, Bußleistung), bei
schweren
Verbrechen waren Selbstjustiz, Blutrache und Lynchmorde an der
Tagesordnung, Anwendung "spiegelnder" Strafen („Auge um Auge,
Zahn um Zahn“)
- ähnliche schriftliche Fassungen von
Gewohnheitsrecht in Spanien, Frankreich und England
- die Rechtssetzung erfolgte durch die
territorialen
Herrscher (Könige, Fürsten, Grafen, Herzöge;
„Kleinstaaterei“), sie bedienten sich spezieller
Bediensteter zur Durchsetzung ihrer Ansprüche (Voigte,
Friedensrichter, Schultheiß bzw. Dorfschulze) z.B. in England
ab
1361 Friedensrichter, 1370 Bildung des Secret Service als
Sicherheitsdienst der Krone
- es fehlte an einem Justizapparat im heutigen
Sinne
- durch gesellschaftliche Entwicklungen
entstanden neue
Verbrechensformen wie Raubritter und Freibeuter, durch die Entwicklung
von Handwerk und Handel entstanden verstärkt Betrug,
Diebstahl,
Falschmünzerei, Bankrott, Urkundenfälschung, usw.
- als mittel gegen Urkundenfälschung
wurde die
"Handfeste" eingesetzt, ein unter Dokumente gesetzter
Handflächenabdruck als Beweis der Urheberschaft bzw. Echtheit
("handfester Beweis")
- dem begegnete die klerikale Obrigkeit mit dem
Inquisitionsverfahren, in dem der Richter allein und
nichtöffentlich nach Aktenlage entschied, ferner
gehörten
dazu die Hexenprozesse (aus religiösem Fanatismus)
u.ä.
teilweise noch auf Aberglauben beruhende Sanktionen
- ebenso martialisch wie die
Beweisfindungsmethoden
waren die Strafen: Köpfen, Vierteilen, Pfählen,
Rädern,
aufs Rad flechten, ertränken, Scheiterhaufen, Abhacken von
Fingern, Händen, Abschneiden von Ohren, "Schlitzohr", Teeren
und
Federn, Schandpfahl, Schandmasken, „Geige“, etc.,
Brandmarkungen für Verbrecher in Österreich,
Frankreich,
Russland, China (teilweise bis Anfang des 20. Jhdts.!), Acht und Bann
(Ausschluss aus der Gesellschaft, „vogelfrei“ =
recht- und
ehrlos), Exempel wurden statuiert, die Bestrafung erfolgte auf
öffentlichen Richtplätzen, teilweise unter
zwangsweiser
Hinzuziehung der Bevölkerung, Hingerichtete blieben zur
Abschreckung tage- oder wochenlang hängen
- Rechte bestimmter Gilden, eigenes Recht an
Universitäten
3. Das 18. Jahrhundert
- 1724 Veröffentlichung eines
Betrugslexikon in
Coburg mit den wichtigsten modi operandi unredlicher
Handlungsweisen, Warenverfälschungen und Betrügereien
(->
žRosstäuscher“) vorrangig für
präventive Zwecke
- Entwicklung von Gaunersprache (Jargon) und
Gaunerzinken
- 1769 Constitutio Criminalis Theresiana der
österr. Kaiserin MARIA THERESIA (weitere
Einschränkung der
Folter und Einführung neuer Beweismethoden
- allmählich setzten sich neue
Untersuchungsformen
durch: Augenschein an Tatorten, Aufnahme von Fuß-
Schuh-
und Hufspuren, Besichtigung von Hieb- und Strichwaffen, Rekognition als
Wiedererkennung von Personen und Sachen, Besichtigung und
Öffnung
von Leichen
- Zeitalter der Aufklärung und Besinnung
auf
einfache Menschenrechte wie Leben, Freiheit und Gleichheit
(MONTESQUIEU, VOLTAIRE) , Zurückdrängung
der Folter
- noch weitgehend einfaches, auf Erfahrungswissen
beruhendes Vorgehen im Einzelfall überwiegend durch die Justiz
(Untersuchungsrichter)
- allmähliche Herausbilden und
Differenzierung
polizeilicher Instanzen vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Unruhen,
überörtlich handelnder Räuberbanden,
Abschaffung der
Folter und der Inquisition (z.B. in Frankreich mit der Revolution
1789), Verminderung
der
- Beweisfunktion des Geständnisses als
„Krone der Beweise“, Aufwertung des Zeugenbeweises
und
erste Vorläufer wissenschaftlicher Methoden zur
Tatbefunderhebung, Spurenauswertung und Wahrheitsfindung vor dem
Hintergrund ansteigender Kriminalität und der Notwendigkeit
der
zunehmenden Normierung von Tatbeständen
- (z.B. 1789 „Versuch einer
Anweisung
für Richter beim Verfahren in Criminal- und Strafsachen wider
solche, welche die Wahrheit nicht gestehen wollen, in Ländern,
wo
die Tortur abgeschafft wurde“ durch den Rechtsgelehrten Prof.
Johann Christian VON QUISTORP an der mecklenburgischen
Universität:
- Vernehmung, Untersuchung von Spuren und Wunden
als Mittel zur Wahrheitsfindung, auch Indizienbeweise)
- mit der Abschaffung der Folter im 18.
Jahrhundert
erfolgte die Hinwendung zur „freien
Beweiswürdigung“
und stärkere Bedeutung von Sachbeweisen (durch Sachkundige, im
Ergebnis der Entwicklung der Naturwissenschaften; Bader,
Ärzte,
Apotheker, Chemiker, Naturgelehrte, aber auch Handwerker und
Gerichtsschreiber)
- in England Entstehung des
angelsächsischen
Rechtssystem mit Jury und Geschworenen, dass sich in seinen
Grundzügen bis heute erhalten hat; Kreuzverhör,
Aussageverweigerungsrecht des Beschuldigten, Verbot von Zwang, Drohung
oder Täuschung bei der Vernehmung
- Gaunerliteratur als Sammlung polizeilichen
Erfahrungswissens etablierte sich, bekannt geworden durch den frz.
Rechtsgelehrten Francois Gayot DE PITAVAL (20
Bände ab
1734),
- später Friedrich Schiller, von
Feuerbach, Hitzig, Alexis, ETA Hoffmann, Prof. F.K.Kaul)
4. Das 19. Jahrhundert
- mit dem Verzicht auf das Eigenbekenntnis als
ausschließliche Grundlage für eine Verurteilung, mit
der
Hinwendung zum Freibeweis, Zeugenbeweis und Indizienbeweis wurden die
Voraussetzungen für eine gerichtliche Untersuchungskunde
geschaffen, dem Vorläufer der modernen Kriminalistik,
Einflüsse neuer Erkenntnisse aus anderen Wissenschaften
(Medizin,
Biologie, Chemie, Psychologie, etc.)
- Übernahme der Lehre von DARWIN von der
Durchsetzung des angepassten, rücksichtslosen Lebens
gegenüber dem Schwachen in die Gesellschaftstheorie
(Sozialdarwinismus); überleben kann danach nur die
stärkste,
brutalste Menschennatur
- beginnende Entwicklung einer
Strafuntersuchungskunde
mit rechtlich und methodisch fundierten Methoden zur Erhebung des
Tatbefundes und zum wahren Nachweis des Verbrechens
- Durchsetzung des ausschließlichen
Justizmonopols des Staates (nicht mehr der Kirche oder bestimmter
Gilden, einheitliche Rechtssetzung für die sich bildenden
Zentralstaaten, z.B.:
- 01.April 1811: Cabinettsordre betreffend die
Criminal-Polizei- Geschäfte (gilt als die
Geburtsstunde der
deutschen Kriminalpolizei)
- erste Strafverfolgungsbehörden wurden
von
ehemaligen Sträflingen geleitet (so. z.B. 1812 - 1827 die
französische Sureté durch Francois Eugene VIDOCQ in
Russland durch Iwan OSSIPOW); ab 1800 sind 6 Polizeibeamte dem
Criminalgericht Berlin zugeordnet
- Einführung eines neuen Strafrechts in
Deutschland durch den Rechtsgelehrten und Philosophen VON FEUERBACH,
Veröffentlichung seiner Schrift „Kaspar Hauser -
Beispiel
eines Verbrechens am Seelenleben des Menschen“ als Beispiel
des
zunehmenden Humanismus in der Strafuntersuchung, Plädoyer
für
logisches, methodisch- konzeptionelles Vorgehen sowie neue Methoden zur
Identifizierung von Personen
- Veröffentlichung erster schriftlicher
Anweisungen für das Strafverfahren bzw. die Kriminalpraxis
(BOLLEY, BAUER), zur Ermittlung des Alibis (HURLEBUSCH)
- MITTERMAIER veröffentlicht
1834 seine „Lehre vom Beweis“
- Grundlage für eine neue Beweistheorie
und neue
Untersuchungsmethoden (Beweis durch richterlichen Augenschein,
Sachverständige, Zeugenaussagen,
Beschuldigtengeständnis,
Indizien)
- rasante Entwicklung der Staatsarzneikunde,
später gerichtliche Medizin, aus der auch die gerichtliche
Chemie
(Giftkunde) und die gerichtliche Psychiatrie hervorgingen
- Entstehung erster Strafprozessordnungen im
deutschsprachigen Raum mit Regelungen zur Durchsuchung, Verhaftung
Festnahme, Vernehmung, Gegenüberstellung, usw.
- Entstehung erster zentraler Polizeiorgane
speziell
für die Verbrechensbekämpfung, z.B. in Frankreich die
Sureté Nationale, in England 1829 die Metropolitain Police
mit
ihrem Dienstsitz im Scotland Yard;
- in Deutschland ab 1830 in einigen
größeren
deutschen Ländern und Städten Einrichtung von
Kriminalabteilungen der Polizei, z.B. 1853 in Bremen und Hamburg,
- in England 1878 Gründung der
Kriminalpolizei Criminal Investigation Department - CID
- im Mittelpunkt der kriminalpolizeilichen
Verbrechensbekämpfung stand zunächst die lokale
Nachrichtensammlung und -auswertung über Straftaten und
Straftäter (z.B. Verbrecheralben), mit der Zunahme
überörtlicher bzw. „reisender“
Täter
Veröffentlichungen und Lehrbücher für
- die praktische Arbeit von Polizeibeamten
(Charakteristiken von Straftätern, typische Begehungsweisen,
Anleitungen zur Untersuchung von Spuren)
- gegen Ende des 19. Jahrhunderts
allmähliche
Verselbständigung der Kriminalistik als Systematik von
allgemeinen
konzeptionellen, taktischen und technischen Methoden; Differenzierung
der Polizeibehörden in Kriminaluntersuchung für
schwere
Verbrechen und Polizeiuntersuchung bzw. Fiskaluntersuchung bei
geringfügigen Verbrechen und Vergehen,
- Einführung einer Kriminalstatistik
- Begründung einer wissenschaftlichen
systematischen deutschen Strafuntersuchungskunde ist Ludwig Hugo Franz
VON JAGEMANN, der 1838 und 1841 ein zweibändiges Werk
„Handbuch der gerichtlichen
Untersuchungskunde“veröffentlichte
5. bedeutende
Entdeckungen/Entwicklungen im 19 Jahrhundert
- Fotografie: um 1840, DAGUERRE - Mitte des 19.
Jahrhunderts erste Fotos von Tätern, Tatorten und Spuren,
Einrichtung erster Fotolabore bei der Kriminalpolizei
- Archäologie: wiss. Methoden zur
Altersbestimmung
von Mumien, zur Untersuchung von Textilien, Pflanzenmaterial usw., neue
Verfahren der chemischen Untersuchung, der Messtechnik und
Dokumentation; Entstehung naturwissenschaftlicher Institute
für
forensische und archäologische Untersuchungen, z.B. von Giften
- Identifizierung: Alphonse BERTILLON, ab 1880
Chef des
Identifizierungsamtes der Polizeipräfektur Paris:
anthropometrisches Identifizierungsverfahren zur Wiedererkennung
rückfälliger Straftäter und unbekannter
Toter mittels
Körpermessung und exakter Beschreibung der Physiognomie, das
nach
ihm Benannte System der Bertillonage wurde ab 1890 europaweit
eingeführt und bildet die wissenschaftliche Grundlage der
Signalementslehre und des polizeilichen Erkennungsdienstes; wurde aber
weitgehend durch andere Identifizierungsverfahren abgelöst;
- ferner entwickelt B. das dreiteilige
Täterlichtbild und die metrische Fotografie zur Tatort-
Rekonstruktion
- Daktyloskopie: Anfänge im Alten China
als
„Unterschrift“, 1680 Beschreibung der Muster durch
den
ital. Anatom MALPHIGI (malphigische Schicht), 1823 Untersuchung und
Einteilung verschiedener Mustertypen durch den tschech. Mediziner
PURKINJE; etwa 1880 folgte die Erkenntnis, dass Fingerabdrücke
unveränderlich sind und somit zur Identifizierung genutzt
werden
können durch den Arzt Dr. Henry FAULDS und den britischen
Kolonialbeamten Sir William James HERSCHEL, 1888 entwickelte
der
Berliner Tierarzt Dr. Wilhelm EBER einen „Utensilienkasten
für die Tatortdaktyloskopie“, der jedoch von den
Behörden abgewiesen wurde, der britische Natur-forscher Sir
Francis GALTON , ein Vetter von Charles Darwin, entwickelte das System
der Sicherung, Auswertung und Kategorisierung von Fingerabdruckspuren
weiter und legte sie einem britischen Regierungsausschuss unter Vorsitz
von Sir Edward Richard HENRY vor; das daraus hervorgegangene System zur
Klassifizierung wird als Galton-Henry- System bezeichnet und wurde
schnell in Europa und Amerika eingeführt, es wurden bald
Systeme
zum automatisierten Vergleich geschaffen
- in Deutschland wurde die Einführung
der
Daktyloskopie 1903 maßgeblich durch den
Polizeipräsidenten
KÖTTIG in Dresden vorangebracht, maßgebliche
Verdienste bei
deren Weiterentwicklung erwarb sich der spätere Leiter des
Dresdener Erkennungsdienstes, Robert HEINDL
- zentrale Gesetzgebung
- zahlreiche landesrechtliche Regelungen
(Kleinstaaterei) wurden mit der Bildung des Deutschen Reiches 1871
abgelöst durch zentrale Gesetze:
- Strafgesetzbuch vom 15. Mai 1871 und
Strafprozessordnung vom 1. Februar 1877
- Entwicklung der Kriminalistik als Wissenschaft
- 1886: durch den Berliner Strafrechtler Franz
VON
LISZT (1851 - 1919) wird der Begriff
„Kriminalistik“
eingeführt, jedoch noch undifferenziert für die
„gesamte Strafrechtswissenschaft“ gebraucht, er ist
auch
maßgeblich an der Bildung der Internationalen
Kriminalistischen
Vereinigung im Jahre1888 beteiligt
- 1893: durch den österreichischen
Juristen Prof.
Dr. Hans GROSS (1847 - 1915) wurde der vorhandene
untersuchungskundliche Erkenntnisstand in seinem Buch
„Handbuch
für den Untersuchungsrichter“zusammengefasst und ab
1898 der
Begriff „Kriminalistik“verwendet; durch seine
Forschungstätigkeit, u.a. zur Vernehmungs- und
Aussagepsychologie,
und seine wissenschaftlichen Publikationen wurde er zum
Begründer
der modernen wissenschaftlichen Kriminalistik
- 1898 erschien das erste
kriminalwissenschaftliche
Periodikum „Archiv für Kriminalanthropologie und
Kriminalistik“, ab 1916 bis heute„Archiv
für
Kriminologie“
6. Das 20. Jahrhundert
- zu Beginn des 20. Jahrhunderts komplexe
kriminalwissenschaftliche Untersuchungen, Entwicklung der forensischen
Wissenschaften einschließlich der wissenschaftlichen
Kriminalistik, teilweise als Universitätswissenschaft in
zahlreichen europäischen Universitäten;
- Entwicklung der Kriminaltaktik, u.a. durch den
Dresdener Landgerichtsdirektor Dr. Albert WEINGART
- Bildung kriminalwissenschaftlicher Institute
und kriminaltechnischer Laboratorien, Aufbau des Erkennungsdienstes
- zunehmende Spezialisierung der
Untersuchungsmethodik
für spezielle Straftatenarten (Tötungs- und
Sexualdelikte,
Brandstiftungen, etc.) unter gleichzeitiger Weiterentwicklung der
Kriminalpsychologie
- in Sachsen ab 1912 flächendeckend
Kriminaldienststellen
- zunehmende internationale Zusammenarbeit bei
der
Verbrechensbekämpfung, z.B. internationaler Polizeikongress
1914
in Monaco zur Vereinfachung der internationalen Fahndung und zur
weltweiten Einführung der Daktyloskopie
- viele hoffnungsvolle Entwicklungen wurden durch
den Ausbruch des 1. Weltkrieges zunichte gemacht
7. Die Zeit nach 1918 (Weimarer Republik)
- anwachsende Kriminalität und neue
Erscheinungsformen nach dem 1. Weltkrieg (Massenelend und Inflation
begünstigten Wirtschaftskriminalität,
Geldfälschung,
Spekulation, Prostitution, Suchtkriminalität), zunehmend
„Berufsverbrecher“ und Serienstraftaten sowie
zahlreiche
Waffendelikte, Ringvereine
- Hinwendung der Polizei „vom
Instrument des
Staates zum Diener des Volkes“ (Carl SEVERING,
preußischer
Innenminister)
- Bildung von Morduntersuchungskommissionen und
Branduntersuchungskommissionen
- legendär wird der Chef der Berliner
Mordkommissionen, Ernst GENNAT (Regina Stürickow:
"Der
Kommissar vom Alexanderplatz")
- neue wissenschaftliche Ansätze beim
Straftatenvergleich (modus operandi, Perseveranzhypothese)
- 1918 Abdankung des Kaisers, Konfrontation
zwischen
kaiserlichen Offizieren und republikanischen Kriminalisten; Kommissar
konnte bis dahin nur werden, wer 7 Jahre als Offizier gedient hatte
(Franz von Schmidt: "Vorgeführt erscheint")
- 1920 Lehrauftrag für Kriminalistische
Hilfswissenschaften an der Universität Berlin an Hans
SCHNEIKERT ,
Leiter des Erkennungsdienstes der Polizei Berlin, insbes. für
Kriminalpsychologie und pol. Erkennungsdienst
- 1922 Reichskriminalpolizeigesetz vom 21.07.1922
- 1923 Bildung der Internationalen
kriminalpolizeilichen Kommission IKPK als ständige Einrichtung
für die internationale Zusammenarbeit bei der
Verbrechensbekämpfung
- Entwicklung der kriminalistischen Ballistik
sowie neuer chemischer Analyseverfahren (Spektralanalyse,
Lumineszenzanalyse)
- 1925 Neuorganisation der Kripo in
Preußen (LKA in Berlin, Kriminalämter, -abteilungen
und - posten
- 1930 Lehrauftrag für Kriminalistik und
strafrechtliche Hilfswissenschaften an der Universität Berlin
an
Max HAGEMANN, Leiter der Kriminalpolizei beim PP Berlin
(später
erster Präsident des BKA
- aufsehenerregende Kriminalfälle wie
Sass, Opitz, Grossmann
8. Kriminalistik im 3. Reich
- Staatsaufbau und Repression unterliegen der
nationalsozialistischen Ideologie, Säuberung der Polizei von
republikanischen Beamten
- Verbrechensbekämpfung wird
zentralisiert, ab Januar 1935 Reichskriminalpolizeiamt unter Arthur NEBE
- zunehmende Überwachung von Berufs- und
Gewohnheitsverbrechern, aber auch politischer Gegner, ab 1935 erste
Konzentrationslager („Schutzhaftlager“), z.B.
Oranienburg!
- Juni 1936 Zusammenführung von Partei-
und
Staatsämtern, Heinrich HIMMLER wird
„Reichsführer
SS und Chef der deutschen Polizei“ (später in
Nürnberg
hingerichtet),
- Chef der Kripo wird Reichskriminaldirektor
Artur NEBE
- 1937 Einführung einer weiblichen
Kriminalpolizei
- 1939 Bildung des Reichssicherheitshauptamtes
(RSHA)
unter Reinhard HEYDRICH durch Zusammenlegung von Sicherheitsdienst
(SD), Geheimer Staatspolizei (GeStaPo) und Kripo, untersteht direkt der
SS (so wird z.B. NEBE SS- Obergruppenführer); verantwortlich
auch
für die Konzentrationslager (H. wird später als
„Reichsprotektor für Böhmen und
Mähren“ in
Prag durch Widerstandskämpfer ermordet); neuer Chef des RSHA
wird
Ernst KALTENBRUNNER
- innere Sicherheit wird zum politischen
Machtinstrument (Fälle Lüdke, Ogorzow)
- das Verbrechen selbst wird zum Machtinstrument,
es
geschehen unvorstellbare Verbrechen im Namen der
„Vollstreckung
einer neuen Ordnung“, aus politischem Fanatismus;
- der Faschismus ist die offen terroristische
Diktatur, für die keine Gesetze mehr gelten
9. Die Zeit nach 1945
- durch 2. Weltkrieg immense Verluste an
Praktikern,
Wissenschaftlern und technischen Einrichtungen (Kriegsverluste und
Reparationen), völliger Neuaufbau in den beiden entstehenden
deutschen Staaten
- Konferenzen der vier Siegermächte in
Jalta und
Potsdam: Polizei soll entnazifiziert, entmilitarisiert und
demokratisiert werden
- alliierter Kontrollrat übt
zunächst
Polizeibefugnisse aus, sehr bald Bildung von Polizeistrukturen in den
vier Besatzungszonen durch „unbelastete“Beamte
- 1949 Bildung der BRD (Grundgesetz) und DDR
(Verfassung)
10. Die Bundesrepublik Deutschland
- Bildung von
Länderkriminalämtern der Zonen,
aus einem dieser Ämter wurde 1951 das BKA gebildet;
föderaler Aufbau der Polizei mit Landeskriminalämtern
(Spurenuntersuchung, Gutachtenerstattung, krim. Forschung) und
landeseigenen Ausbildungseinrichtungen;
- PFA in Münster-Hiltrup;
Lehrstühle für
Kriminalistik an den jur. Fakultäten Frankfurt a.M., Freiburg
i.Br., Mainz
- 1952 Aufnahme in die IKPO
11. Die Deutsche Demokratische Republik
- Entnazifizierung der Polizei, Zentralistischer
Aufbau
mit militärischen Strukturen, Führung durch die SED,
ideologische Färbung der kriminalistischen Wissenschaften als
Mittel im Klassenkampf;
- PP und Inspektionen in Berlin, BdVP
und Kreisämter, Reviere und Gruppenposten in den 15
Bezirken
- Bildung eines Kriminaltechnischen Institutes
der
Deutschen Volkspolizei als zentrale Forschungs-, Expertisen- und
Lehrinstitution,
- Bildung von KTU-Stellen in den Bezirken sowie
einer
Fachschule für Kriminalistik in Aschersleben und Instituten
für Kriminalistik an den jur. Fakultäten der
Universitäten Berlin, Halle, Leipzig und Jena;
- ab 1968 eigenständige Sektion
Kriminalistik an
der Humboldt- Universität Berlin, "Wissenschaftlicher Rat
für
Kriminalistik" aus Praktikern und Wissenschaftlern
- rasanter Fortschritt der
wissenschaftlich-technischen Forschung (z.B. DNA)
- umfassender Einsatz der elektronischen
Datenverarbeitung (Auskunfts- und
Fahndungssysteme,
automatisierte Identifizierungssysteme, rechnergestützte
Vorgangsbeabeitung
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